Es war ein Morgen, der zunächst klang wie jeder andere in Dortmund – ein grauer Himmel, feuchte Luft über den Ruhrpottdächern, das gedämpfte Rauschen des Verkehrs, und irgendwo im Hintergrund spielte ein Radio alte Fußballreportagen. Doch dann kam die Meldung, die in Sekunden den gesamten deutschen Fußball zum Beben brachte. Dr. Reinhold Lunow, Präsident von Borussia Dortmund, trat vor die Mikrofone, ruhig, gefasst, aber mit einer Botschaft, die so groß war, dass selbst die kühnsten Fans der Schwarzgelben sie nicht für möglich gehalten hätten. Mit klarer Stimme, ohne ein Zögern, erklärte er, dass der Signal Iduna Park – das Herz, die Kathedrale, der Mythos – abgerissen werden solle. Ein Abriss dessen, was man über Jahrzehnte nicht nur ein Stadion, sondern ein lebendiges Wesen genannt hatte. Und an seiner Stelle solle ein neues Monument entstehen: ein Superstadion mit unfassbaren 500.000 Sitzplätzen, größer als alles, was der Fußball je gesehen hat.
Kaum war die Nachricht ausgesprochen, explodierten die Reaktionen in sozialen Netzwerken und Fanforen. Empörung, Jubel, Verzweiflung, Unglaube – ein Sturm aus Emotionen. Viele glaubten zunächst an einen schlechten Scherz, an eine virale Ente, an irgendetwas, das unmöglich wahr sein konnte. Aber je öfter die Worte wiederholt wurden, je mehr Quellen sie aufgriffen, desto realer wurde das Unbegreifliche. Dortmund sollte neu erschaffen werden. Größer. Lauter. Unvergesslicher.
Der Signal Iduna Park, früher Westfalenstadion – für viele ein Tempel, für manche ein zweites Zuhause. Er war kein Gebäude, er war ein Gefühl: die gelben Wellen der Südtribüne, die bebenden Betonbalken aus Leidenschaft, der Atem von 80.000 Seelen, der wie Donner über das Feld rollte. Wie sollte man so etwas ersetzen? Wie konnte man daran denken, diesen Ort zu zerstören, an dem Träume geboren und Herzen gebrochen wurden? Manche sagten: Das ist Wahnsinn. Andere sagten: Es ist Vision.
Dr. Lunow aber hielt an seiner Aussage fest. Der moderne Fußball verlange Neue Wege, sagte er. Wachstum, Innovation, Mut. Ein Stadion, das acht Mal so groß wäre wie das heutige, würde nicht nur Geschichte schreiben, sondern sie neu definieren. Dortmund solle der Mittelpunkt des Weltfußballs werden, das pulsierende Zentrum einer Sportära ohne Grenzen. Spiele mit einer halben Million Zuschauer – keine Arena auf der Erde wäre vergleichbar. Finalspiele, Konzerte, Weltturniere – alles wäre denkbar, alles wäre möglich.
Doch während Visionen geformt wurden, meldeten sich jene zu Wort, die seit Jahrzehnten auf der Süd standen, bei Regen, bei Schnee, bei Niederlagen und Meisterfeiern. Für sie war die Vorstellung, dass die gelben Stahlträger eines Tages fallen könnten, ein Stich tief ins Herz. Viele weinten, als sie Interviews gaben, andere standen still und fassungslos, unfähig zu begreifen, ob dieser Moment Zukunft oder Verlust bedeutete. Es war, als hätte man ihnen angekündigt, dass ein Familienmitglied aus ihrem Leben verschwinden würde.
Gleichzeitig gab es Fans, die in Euphorie aufbrachen. Sie sahen in diesem Plan ein Werk für die Ewigkeit. Ein Stadion, das die Macht der Leidenschaft nicht begrenzt, sondern multipliziert. Egal ob Asien, Amerika oder Afrika – Menschen würden nach Dortmund pilgern, nur um dieses Wunder mit eigenen Augen zu sehen. Touristenmassen, die Südtribüne als Weltkulturerbe der Emotion, eine Atmosphäre, die der Begriff Gänsehaut nicht mehr beschreiben konnte. Manche sprachen von der ersten Arena, deren Lautstärke mit einem Erdbeben vergleichbar wäre. Die Akustik allein – so spekulierten Experten im Fernsehen – könnte psychologisch wirken wie ein zwölfter Mann.
Politiker, Ökonomen und Architekten schalteten sich ein. Die einen sahen das gigantische Risiko, finanziell, infrastrukturell, gesellschaftlich. Wie sollte man 500.000 Menschen in die Stadt bringen? Wie sie hinauslassen, sicher, geordnet, problemlos? Was würde aus den alten Mauern werden, die Erinnerungen wie Fotografien in Beton speichern? Andere wiederum entwarfen bereits Pläne auf futuristischen Monitoren: ein Stadion wie eine Stadt, mit integrierten Hotels, Krankenhäusern, Shopping-Areas, freischwebenden Rängen, vielleicht sogar einem eigenen Bahnhof im Fundament.
Doch während die Welt debattierte, blieb ein Gedanke über allem stehen wie eine Fahne im Wind: Dortmund würde nie wieder dasselbe sein. Veränderungen dieses Ausmaßes sind selten. Manche nennen sie Fortschritt, andere Verrat. Aber sie hinterlassen Spuren, die bleiben, ob man sie liebt oder hasst.
Man könnte sagen, dass in diesen Tagen zwei Borussia-Seelen gegeneinander kämpften. Die eine klammerte sich an Tradition, an Geschichten der Vergangenheit, an den Geruch nasser Tribünen und die Stimmen der Alten, die von Möller, Zorc und Chapuisat erzählten. Die andere streckte die Hand aus in Richtung Zukunft, gigantisch und grell, wie ein Feuerwerk, das die Nacht explodieren lässt. Vielleicht ist das Schöne – und zugleich das Tragische –, dass beide Seiten recht haben.
Der Gedanke an den Abschied vom Signal Iduna Park lässt Herzen schmerzen. Doch gleichzeitig pocht eine Neugier, die man nicht leugnen kann. Was ist, wenn es gelingt? Was ist, wenn die Welt in zehn Jahren über Dortmund spricht wie einst über Rom oder Athen – als Wiege einer neuen Ära? Was, wenn dieses Superstadion Millionen bewegt, inspiriert, vereint?
Vielleicht liegt gerade darin die Magie des Fußballs: Er zerstört nicht nur, er schafft. Er reißt Mauern ein, aber baut Hoffnung. Er lässt uns leiden, aber auch träumen – größer, wilder, grenzenloser, als wir selbst es je für möglich hielten.
Und so bleibt am Ende nicht nur die Frage, ob Dortmund diese Zukunft betritt, sondern auch, ob wir bereit sind, sie zu sehen. Der Signal Iduna Park wäre dann nicht vergessen. Er wäre Geschichte. Und große Geschichte atmet weiter – in jedem Menschen, der sie erlebt hat.
