Es begann mit einem Satz, der sich wie ein Schatten über Dortmund legte, leise ausgesprochen und doch schrill in allen Herzen. Ottmar Hitzfeld, der ruhige Herrscher an der Seitenlinie von einst, der Mann, der eine ganze Ära geprägt hatte, soll schwer erkrankt sein. Es war keiner dieser üblichen Gerüchte, die kommen und verglimmen wie Strohfeuer – nein, diesmal war ein anderer Ton in der Luft. Ernst. Schwer. Atemlos.
Die Nachricht verbreitete sich nicht wie Jubel, sondern wie Frost: langsam, kriechend, unwiderruflich. In Fanforen tauchten erste Posts auf, dann erste Fragen, erste Sorgen. Niemand wusste Genaueres, niemand konnte bestätigen, was wirklich dahintersteckte. Doch schon die Möglichkeit reichte aus, um eine Stadt ins Zittern zu bringen. Denn Ottmar Hitzfeld war nicht irgendein Trainer, irgendein Name im Archiv. Er war Borussia Dortmund. Er war Struktur, Seele, Fundament.
Wenn man über den BVB sprach, sprach man immer auch über ihn – über 1997, über Champions-League-Nächte, über dieses feurige Gelb, das er zum Leuchten brachte wie ein Dirigent sein Orchester. Er war der Mann, der Dortmund Europa gezeigt hatte. Ohne Pathos war das nicht zu erklären.
Und nun? Nun kämpfte er – so heißt es – mit seinem Körper, gegen einen Gegner, der keine Taktik fürchtet und keine Pressinglinie respektiert. Krankheiten spielen nicht nach Regeln. Vielleicht ist genau das das Brutalste daran.
Während viele Fans fassungslos zurückblieben, begannen andere zu handeln. In sozialen Netzwerken entstanden Bilder, Collagen, Botschaften, gelbe Herzen. Es war, als wolle ein ganzer Verein seine Stimme wie einen Schutzschild um ihn legen. Menschen, die ihn nie persönlich getroffen hatten, schrieben Sätze wie an einen alten Freund. Manche knapp, manche poetisch, manche mit zitternder Hand.
„Kämpfe, Ottmar. Du hast schon größere Berge bezwungen.“
„Ohne dich wären wir nur eine Geschichte. Du hast sie zu einer Legende gemacht.“
Und je mehr Stimmen sich erhoben, desto klarer wurde: In diesem Moment zählte nicht Fußball. Nicht Tabellenstand. Nicht kommende Spiele. Nicht Transfers, Marktwert oder Champions-League-Plätze. Es zählte der Mensch.
Die Mannschaft reagierte nicht laut, aber sichtbar. Spieler gingen nach dem Training länger am Trainingszentrum vorbei, wo Fans Kerzen aufstellten. Trainer und Staff wirkten nachdenklicher, manche sprachen in Interviews von „einem Mann, dem wir alles verdanken“. Man konnte es spüren: Es war etwas zwischen den Zeilen, das keiner aussprechen konnte, weil es sonst zu real geworden wäre.
Und man fragte sich – wie würde Hitzfeld selbst damit umgehen? Der Mann, der immer pragmatisch war, kontrolliert, innerlich brennend und äußerlich eisklar. Würde er lächeln? Würde er sagen, es sei nur eine Phase? Würde er darum bitten, weiterzuleben, weiterzujubeln, weiterzuatmen? Oder würde er – zum ersten Mal – nicht gegen etwas coachen können, sondern gegen sich selbst?
Es war eine Frage, die keiner beantworten konnte.
Während die Wochen vergingen, veränderte sich Dortmund. Nicht in seiner Struktur, nicht in seinem Klang – aber im Herzen. Jeder Sieg fühlte sich an, als gehöre er auch Hitzfeld. Jede Niederlage trug einen Stich mehr. In jeder Pressekonferenz schwang unterschwellig ein Thema mit, selbst wenn kein Journalist den Mut fand, laut zu fragen. Man spürte es in der Luft – eine unsichtbare Hand hatte den Verein enger zusammengezogen.
Gelbe Schleifen tauchten im Stadion auf. Kinder trugen Plakate, ältere Fans standen mit verschränkten Armen und glänzenden Augen in der Südtribünenkurve. In Fanliedern mischte sich ein neuer Unterton: Dankbarkeit. Liebe. Demut.
Es war, als ob alle plötzlich begriffen, wie sehr dieser Mann ihr Leben beeinflusst hatte. Wie viele Augenblicke, Erinnerungen und Emotionen ohne ihn nie existiert hätten. Fußball ist manchmal nur 90 Minuten – aber was bleibt, lebt Jahrzehnte.
Und es bleibt viel von Ottmar Hitzfeld.
Manche beschrieben es so: Als Fan betritt man das Stadion, man spürt ihn. Man nimmt einen Schluck Bier auf der Tribüne – man hört ihn im Rauschen. Man sieht den BVB einlaufen und denkt an die Nacht in München, an Turin, an große Abende, die wie brennende Sterne über der Fußballwelt standen. Ein Trainer wie Hitzfeld baut keine Mannschaft – er baut Geschichte.
Vielleicht ist genau das der Grund, warum seine mögliche Krankheit so tief trifft. Weil man merkt, dass Legenden sterblich sind. Dass auch Helden Körper haben. Dass selbst eine Statue Schatten wirft.
Aber in jeder Tragödie liegt Hoffnung. Fans organisierten eine Aktion: 80.000 Stimmen für Hitzfeld – jeder Fan, der ins Stadion kommt, schreibt seinen Namen auf eine digitale Wand, die später ausgedruckt und als „Gelb wie Mut“-Banner übergeben werden soll. Es war nicht nur ein symbolischer Akt, sondern ein Gefühl, das greifbar werden wollte.
Man stand vor dem Stadion, manchmal im Regen, manchmal in tiefem Winterfrost, und dennoch kamen sie. Alte Männer, die 1997 mit Tränen in den Augen auf den Dortmunder Straßen tanzten. Junge Fans, die Ottmar nur aus YouTube-Highlights kannten. Familien, Studenten, Kinder, Rot-Backen-Fieberträger – alle kamen, weil sie wussten:
Man lässt Ikonen nicht allein.
Es gab Momente, in denen die Menge schwieg. Manchmal standen Hunderte vor dem Stadion wie vor einem Denkmal. Kein Gesang, kein Trommelwirbel. Nur Atem, nur Präsenz. Und darin lag etwas Heiliges, fast Sakrales. Borussia war nicht nur ein Fußballverein – Borussia war ein Organismus aus Herzschlägen.
Die Frage, ob Hitzfeld diesen Kampf gewinnt, stellt sich irgendwann von selbst – aber sie ist nicht die einzige Frage. Vielleicht ist es wichtiger zu fragen:
Wofür hat er gekämpft?
Was hat er hinterlassen?
Was bedeutet es, wenn ein Mensch ein Verein wird?
Denn egal wie der Kampf ausgeht – eines kann ihm niemand nehmen: Er hat Dortmund geprägt wie kaum ein anderer. Er hat Europa Gelb gefärbt. Er hat Menschen vereint, die sich sonst nie begegnet wären. Er hat Träume möglich gemacht.
Und jetzt? Jetzt träumt ein ganzer Verein für ihn.
Wenn Ottmar Hitzfeld irgendwo sitzt, vielleicht zuhause, vielleicht im Krankenhausbett, vielleicht im Sessel mit Blick auf einen Winterabend, dann spürt er vielleicht eine Kraft, die nicht aus seinem eigenen Körper kommt. Eine Kraft, die aus tausenden Kehlen, Herzen, Erinnerungen strömt.
Eine Kraft, die Gelb trägt.
Krankheiten brechen Körper.
Aber sie brechen keine Legenden.
Und vielleicht ist das die stillste Wahrheit dieser Geschichte
