Als Stuttgarts Magisches Dreieck die Bundesliga verzauberte, schien der Fußball für einen Moment seine Regeln zu vergessen. Was normalerweise aus Taktiktafeln, Pressingmechanismen und endlosen Laufwegen besteht, verwandelte sich in pure Kunst, getragen von drei Spielern, die einander nicht nur verstanden, sondern beinahe telepathisch zu spüren schienen. Krasimir Balakov, Fredi Bobic und Giovane Élber – drei Namen, die bis heute im kollektiven Gedächtnis des VfB Stuttgart nachhallen wie ein Echo einer unvergleichlichen Ära. In den 1990er-Jahren prägten sie eine Phase, in der der Club aus Cannstatt zu einem der aufregendsten Teams Europas wurde. Nicht unbedingt das konstanteste, nicht immer das stabilste, aber zweifellos eines der magischsten. Und diese Magie hatte ihren Kern in der perfekten Symbiose dreier Persönlichkeiten, die unterschiedlicher kaum hätten sein können – und doch auf dem Feld ein harmonisches Ganzes bildeten, das noch Jahrzehnte später glorifiziert wird.
Balakov war der Denker. Ein Spielmacher aus einer vergangenen Zeit, schmal, elegant, mit einem linken Fuß, der Pässe formte wie ein Künstler seine Skulpturen. Sein Blickfeld war grenzenlos, seine Kreativität unerschöpflich. Bobic war der Schütze, jemand, der in der Box lebte, dort, wo Sekundenbruchteile über Ruhm oder Frust entschieden. Er war robust, kaltblütig, gleichzeitig aber technisch weit besser, als man es ihm nachsagte. Und Élber? Élber war das Lächeln des Fußballs in Stuttgart. Unbekümmert, trickreich, explosiv. Ein Stürmer, der sowohl brasilianisches Temperament als auch deutschen Effizienzfußball verinnerlichte. Zusammen bildeten sie eben jenes magische Dreieck, dessen Glanz sich nicht nur in Zahlen, sondern vor allem in Emotionen festschrieb.
Die Bundesliga jener Zeit war weit weniger globalisiert als heute. Stars blieben länger bei ihren Vereinen, es gab weniger Transferspektakel und weniger taktische Gleichförmigkeit. Der Raum für Kreativität war größer, und Stuttgart nutzte ihn wie kaum ein anderer Club. Unter Trainer Joachim Löw, der damals noch am Beginn einer langen Trainerkarriere stand, entwickelte sich ein Offensivkonzept, das nicht auf komplizierte Muster setzte, sondern auf Instinkt und das Zusammenspiel dreier außergewöhnlicher Köpfe. Löw war clever genug, die Mechanismen nicht zu sehr zu verengen. Er erkannte, dass Balakov freie Räume brauchte, Élber Tiefe und Bobic klare Abnehmerpositionen. Daraus entstand ein System, das die Bundesliga in Atem hielt.
Die Spieltage mit dem magischen Dreieck hatten etwas von Ritualen. Wenn der VfB auflief, strömten die Menschen ins Stadion in der Hoffnung, Zeugen eines dieser Momente zu werden, die man später seinen Kindern erzählt. Populär wurde der VfB nie wegen harter Defensivschlachten oder taktischer Lehrstücke, sondern wegen dieser besonderen, manchmal unkontrollierten Schönheit des Offensivfußballs. Der Ball lief wie an einer unsichtbaren Schnur gezogen zwischen Balakovs Füßen, wurde von Élber angenommen, kunstvoll weitergetragen und schließlich von Bobic verwertet. Es wirkte spielerisch, selbstverständlich, aber hinter dieser Leichtigkeit steckte harte Arbeit. Balakov trainierte Pässe über Distanzen, die heute kaum ein Spielmacher im Repertoire hat. Bobic feilte an seinem Timing beim Einlaufen in den Strafraum. Élber verbesserte ständig seine Entscheidungsfindung im letzten Drittel.
Und doch bleibt das Magische am Dreieck, dass vieles intuitiv geschah. Man hatte das Gefühl, die drei bräuchten nur einen kurzen Blick, und schon veränderte sich die komplette Spielsituation. Sie zogen Gegner an, öffneten Räume, nutzten Lücken, die erst durch ihr eigenes Auftreten entstanden. In Stuttgart entstand ein Fußballfieber, das die Stadt elektrisierte. Haushalte diskutierten nach jedem Spieltag, ob das Tor des Wochenendes nun von Élber oder von Bobic stammte – oder ob Balakovs Vorlage nicht ohnehin der wahre Höhepunkt gewesen war. Der VfB genoss plötzlich internationalen Respekt, obwohl er strukturell und finanziell nicht zu den Schwergewichten gehörte.
Das Dreieck prägte nicht nur den Verein, sondern symbolisierte auch eine Ära des deutschen Fußballs. Die 90er-Jahre waren geprägt von Experimenten, von der allmählichen Rückkehr zur Offensive, von der Suche nach technisch starken Spielern. Stuttgart wurde zum Vorreiter dieses Wandels. Der Club stand für Freibier-Fußball, für Mut, für Unterhaltungswert. Und es war die Offensive, die diesen Wandel trug. Balakov wurde in dieser Zeit zu einem der besten Spielmacher Europas. Élber entwickelte sich zu einem Stürmer von internationalem Format, der später beim FC Bayern zu einem Superstar reifte. Bobic wiederum wurde zu einem Sinnbild für Torjägerqualität und Effizienz.
Doch wie oft im Fußball schwebt über jeder schönen Geschichte der Schatten des Endlichen. Die Dreieckszeit konnte nicht ewig dauern. Transfers wurden unvermeidlich, Interessen änderten sich, der Markt bewegte sich. Und so kam es, dass dieses Trio, das Fans ins Stadion brachte und Gegner verzweifeln ließ, irgendwann auseinanderbrechen musste. Was jedoch die Erinnerung so besonders macht, ist der Weg, wie dieser Abschied stattfand. Kein abruptes Verblassen, kein geräuschloses Auseinanderdriften – sondern ein Abschiedskrimi, den man in Stuttgart bis heute ehrfürchtig erzählt.
Dieser Abschiedskrimi war einer jener Momente, in denen Fußball seine vollkommene Dramatik entfaltet. Es ging nicht nur um einen Spieler, nicht nur um ein letztes Tor, sondern um das Gefühl eines kollektiven Endes. Der VfB stand vor einer Phase des Umbruchs. Die Verantwortlichen wussten es, die Spieler spürten es, und die Fans ahnten es. Die letzten Wochen, in denen das Trio noch gemeinsam auf dem Feld stand, waren von einer bittersüßen Intensität geprägt. Man jubelte über jedes Tor, als wäre es das letzte; man beklatschte jeden Balakov-Pass mit dem Bewusstsein, dass solche Momente selten und kostbar sind.
