Nach Unions wichtigem Sieg am Millerntor gönnt sich Steffen Baumgart endlich einen Hauch Zufriedenheit – trotz einer nach 13 Spielen schwächeren Bilanz als sein Vorgänger Bo Svensson. Dieser Sieg war mehr als nur drei Punkte, mehr als ein tabellarischer Schritt nach oben. Es war ein emotionaler Moment, ein Signal an den Verein, die Mannschaft und die Fans, dass sich die harte Arbeit der vergangenen Wochen endlich auszuzahlen beginnt. Baumgart, der sonst mit lauter Stimme, klaren Botschaften, hoher Intensität und unnachgiebigem Anspruch durch die Seitenlinie marschiert, zeigte nach dem Abpfiff eine seltene Form der Erleichterung. Kein lauter Jubelschrei, keine ausufernde Ekstase – vielmehr ein tiefes Ausatmen, als hätte er eine Last von seinen Schultern fallen spüren.
Dabei war allen bewusst, dass seine bisherige Bilanz nicht mit der von Svensson mithalten konnte. Der Vergleich hing wie ein Schatten über ihm: Svensson hatte nach 13 Spielen mehr Punkte gesammelt, eine stabilere Defensive präsentiert und oft eine klarere spielerische Struktur gezeigt. Baumgart dagegen kam in einem Moment zum Klub, der geprägt war von Verunsicherung, fehlender Klarheit in der Offensive und der permanenten Frage, ob Union noch jene Identität besitzt, die sie in den letzten Jahren in der Bundesliga zu einem der unangenehmsten Gegner gemacht hatte. Baumgart trat also nicht nur ein sportliches Erbe an, er musste auch gegen die Erwartungen ankämpfen, die ein Vorgänger hinterlassen hatte, der trotz schwieriger Phasen für viele als strukturierter Denker und ruhiger Architekt der Spielidee galt.
Doch der Sieg am Millerntor veränderte etwas. Er zeigte, dass Baumgart nicht nur kämpferische Mentalität einfordert, sondern auch in der Lage ist, eine Mannschaft so zu führen, dass sie in kritischen Momenten wächst. Union zeigte eine Reife, die man in den Wochen zuvor oft vermisst hatte: Kompaktheit, Aggressivität, eine gewisse spielerische Konsequenz und ein klares Verständnis dafür, wann welche Rhythmen im Spiel gebraucht werden. Natürlich war nicht alles perfekt, doch Perfektion ist ohnehin kein realistisches Ziel, wenn ein Trainer in einer Phase der Instabilität übernimmt. Entscheidend war vielmehr, dass Union als Team auftrat, das wusste, was es wollte, und das mit Überzeugung nach vorne spielte.
Baumgart stand an der Seitenlinie wie jemand, der spürt, dass er nun endlich Werkzeuge in der Hand hält, die funktionieren. Sein Fußball verlangt Intensität, schnelle Vertikalität, robuste Zweikämpfe und ein Selbstbewusstsein, das man nicht trainieren, sondern nur aus Erfolgen schöpfen kann. Er arbeitet mit hoher Energie, mit emotionaler Ansprache, mit klaren Anforderungen an jeden Einzelnen. In den vergangenen Wochen sah man zwar den Willen der Spieler, diese Ansprüche umzusetzen, doch etwas fehlte – sei es das Timing, die Präzision oder schlicht die Überzeugung, dass diese Herangehensweise erfolgreich sein würde. Gegen St. Pauli jedoch war erstmals spürbar, dass die Mannschaft diesen Glauben gefunden hat.
Und dennoch: Die nüchternen Zahlen bleiben. Baumgarts Bilanz nach 13 Spielen ist schwächer als die von Bo Svensson, und dieser Umstand verschwindet auch durch einen Sieg nicht einfach. Was sich aber verändert hat, ist die Tonlage rund um diese Bilanz. Während zuvor Zweifel laut wurden, ob Baumgart der richtige Mann sei, argumentiert man inzwischen differenzierter. Viele erkennen, dass die Ausgangslage für ihn eine andere war als für Svensson, dass der Kader in einer entscheidenden Phase der Vorsaison Substanz verloren hatte und dass Verletzungen sowie taktische Umstellungen Zeit brauchen, um zu funktionieren. Baumgart will eine andere Art Fußball spielen lassen, einen mutigeren, direkteren, körperlicheren. Dass dies nicht von heute auf morgen gelingt, war abzusehen.
Die Mannschaft folgt ihm jedoch spürbar. Spieler wie Haberer, Tousart oder Behrens zeigen wieder mehr Präsenz, mehr Mut, mehr Körpereinsatz. Die Defensive agiert enger, kompakter, homogener. Selbst in schwierigen Phasen eines Spiels erweckt Union nicht mehr den Eindruck, vollständig auseinanderzubrechen. Dieser Eindruck war in den ersten Wochen unter Baumgart durchaus vorhanden: Phasen voller Chaos, unerzwungene Fehler, Unsicherheiten im Spielaufbau. Doch all das scheint sich langsam zu glätten, zu stabilisieren, sich in etwas zu verwandeln, das man als Grundlage erkennen kann. Der Sieg am Millerntor symbolisiert somit nicht nur einen sportlichen Erfolg, sondern auch eine innere Ordnung, die sich allmählich manifestiert.
Dabei spielt auch eine Rolle, dass Baumgart sich selbst nicht überhöht. Er weiß, dass ein Sieg noch kein Durchbruch ist. Er weiß, dass das Lob von außen ebenso flüchtig sein kann wie die Kritik. Er betont immer wieder, dass es um Arbeit geht, um Wiederholungen, um Details. Doch die Art und Weise, wie er über das Team spricht, zeigt, dass er Vertrauen entwickelt hat: Vertrauen in die Abläufe, Vertrauen in die Spieler, Vertrauen in die Idee, die er vermitteln will. Dieser Glaube ist einer der wichtigsten Bestandteile seines Trainerprofils. Baumgart ist kein Technokrat, er ist ein Motivator, ein Impulsgeber, jemand, der durch Energie und Klarheit eine Stimmung erzeugen kann, in der Spieler über sich hinauswachsen.
Natürlich bleibt der Vergleich mit Svensson bestehen. Doch dieser Vergleich verliert an Härte, je mehr Union seine eigene Identität unter Baumgart findet. Svensson war ruhig, analytisch, nüchtern. Baumgart ist emotional, laut, körperlich präsent. Beide Wege können erfolgreich sein, aber sie erfordern unterschiedliche Herangehensweisen, unterschiedliche Spielertypen und unterschiedliche Entwicklungsphasen. Vielleicht ist auch genau das der Punkt: Union brauchte nach einer Phase der Erstarrung wieder einen Trainer, der Energie ins System bringt. Auch wenn die Ergebnisse anfangs nicht stimmten, brachte Baumgart sofort diese Energie ein. Nun kommen langsam die Resultate hinzu.
Auffällig ist zudem, wie die Fans auf seine Arbeit reagieren. Union-Anhänger sind emotional, loyal und gleichzeitig sehr empfindsam gegenüber der Frage, ob ein Trainer die Vereins-DNA wirklich versteht. Baumgart scheint diese DNA nicht nur zu verstehen, sondern sie zu leben. Er spricht von Zusammenhalt, von Kampf, von harter Arbeit – Werte, die in Köpenick stets größer waren als große Namen oder spektakuläre Transfers. Seine Art passt zum Klub, und dieser psychologische Faktor ist oft wichtiger als Tabellenwerte. Trainer und Umfeld finden in solchen Momenten zusammen, wenn sie das Gefühl bekommen, dass das Projekt nicht nur sportlich, sondern auch kulturell stimmig ist.
Der Sieg am Millerntor trägt all diese Elemente in sich. Er ist ein Moment, der zeigt, wie eng Erfolg und Vertrauen verbunden sind. Er ist ein Moment, der die Atmosphäre rund um Union beruhigt, aber auch befeuert. Er zeigt, dass Baumgart ein Fundament geschaffen hat, auf dem sich aufbauen lässt. Noch ist der Weg lang, noch ist die Saison nicht in ruhigen Fahrwassern, und noch wartet viel Arbeit auf den Trainer und seine Mannschaft. Aber dieser Sieg war ein Signal – ein kleines, aber bedeutendes.
In den kommenden Wochen wird sich zeigen, ob dieser Trend anhält. Ob Union die Balance hält zwischen Offensivmut und defensiver Stabilität. Ob die Automatismen weiter wachsen, ob individuelle Fehler abnehmen, ob Baumgarts Handschrift noch klarer zum Vorschein kommt. Doch die Grundrichtung scheint nun zu stimmen. Die Mannschaft wirkt selbstbewusster, strukturierter, überzeugt von dem Weg, den sie eingeschlagen hat.
